top of page

Hannes und die Haflinger

Artikel aus der Pferderevue 07/21 - Gerda Frey

Johann Weitlaner ist Südtirols erster Gespannfahrer. Mehrmals gewann er  
die Italienischen Meisterschaften – und Bronze bei der Weltmeisterschaft.  
Ein Geheimnis seines Erfolges ist der Haflinger. Jetzt bereitet er das österreichische Pony-Gespannfahrteam auf die Weltmeisterschaft im September vor. 

tolderhof_8851.jpg

Eine neue Welt

 Mit einem geliehenen Lastwagen, einer Kutsche, zwei Pferden – so erschien Hannes Weitlaner auf seinem ersten Turnier. Was er nicht hatte: den nötigen Beifahrer oder irgendeine Ahnung, wie ein Turnier abläuft. Und so endete das Ge-ländefahren schlicht im Gebüsch. Weitlaner muss heute herzlich lachen, wenn er an diese Tage im Jahr 1992 zurück-denkt. Denn seitdem hat er einige Turniere im Gespann bestritten. Er ist nicht nur staatlich geprüfter Reit- und Fahrlehrer, sondern auch mehrfacher Ita-lienmeister und Bronzegewinner einer Weltmeisterschaft. Und er bereitet der-zeit die österreichischen Pony-Gespannfahrer auf die Weltmeisterschaften im September vor. Dabei weiß Weitlaner, dass seine Erfolge nie ohne seine treu-esten Begleiter möglich gewesen wären: die Haflinger. Als Johann Weitlaner 1968 geboren wurde, war er der Jüngste von zehn Kindern. Er wuchs auf einem kleinen Bauernhof auf – ein Leben voll Arbeit und ohne Traktor. Alle halfen zu Hause mit, auch der kleine Hannes. Und genau das sollte sein Schicksal prägen: „Ob Acker pflügen, Erdäpfel rausholen, Heu einfahren oder Mist wegbringen, alles mussten wir mit dem Pferd machen.“ So war sein Leben von Anfang an eng verbunden mit diesen besonderen Tieren. Doch war der Weg zum Meister im Gespannfahren noch weit. 

Eines Tages fiel Hannes ein altes Pferdebuch in die Hände, ein Buch über das Fahren. „Dass es Fahrkurse gibt, das war für mich komplett neu und wahnsinnig spannend.“ Irgendwie hatte er sich darüber noch nie Gedanken gemacht. „Ich habe gemeint, das wird mündlich überliefert, vom Vater zum Sohn und weiter so, von Generation zu Generation.“ Dass es Fahrschulen gibt, hatte er noch nie gehört. Und wie es der Zufall wollte, fand kurz darauf in Südtirol der erste Fahrkurs statt. Ein Schnupperkurs, gehalten vom Bayerischen Ex-Vizeweltmeister Georg Bauer. Und Bauer erkannte sofort das Talent und die Begeisterung des 18-jährigen Hannes. Bauer motivierte den jungen Fahrschüler, Weitlaner besuchte weitere Kurse und startete mit 24 Jahren auf seinem ersten Turnier. „Ich kannte mich nirgends aus – ich war ja Pionier im Fahrsport in Südtirol.“ Da-für meisterte er Dressur und Hindernisfahren gar nicht so schlecht. Doch bei der Geländefahrt verhedderte er sich im Gebüsch und gab auf. Aber von diesem Misserfolg ließ sich Weitlaner nicht entmutigen. Er hatte keine großen Erwartungen, denn ihm dienten die Turniere zunächst nur dazu, zu überprüfen, was die vielen Fahrkurse bringen. Er war glücklich über die viele Zeit, die er mit dem Gespannfahren und den Pferden verbringen durfte. Hannes Weitlaner hatte erst einmal nicht die Chance, einen Beruf mit Pfer-den zu ergreifen. Er lernte Maurer. Doch ihm wurde schnell klar, dass ihm diese Arbeit zwar ein Einkommen, aber kein Lebensglück bringt. So empfahl ihn sein Onkel an einen kleinen Haflingerhof, den Tolderhof in Olang. Dort über-nahm Weitlaner gleich die Leitung. Wo-her die Besitzer wussten, dass der junge Maurer das kann? „Das haben sie nicht gewusst, sondern nur gehofft“, erzählt Weitlaner lachend. „Es gab damals niemanden, der sich für die Stallleitung interessiert hätte“ Martin Prugger, dem der Stall bis heute gehört, erinnert sich gut an Weitlaner, wie er 1990 bei ihm erschien. „Da kam ein freundlicher junger Mann mit Hut. Wir wussten damals von ihm nur, dass er pferdeverrückt ist.“ Dass Weitlaner gut 20 Jahre später als Bronzegewinner der Weltmeisterschaft Zeitungen und Fernsehen auf den Hof bringen würde, hat damals keiner geahnt. Weitlaner zeigte allerdings gleich das richtige Gespür und die Freude am Pferd und am Pferdesport. So erhielt er eine besondere Chance: Er durfte mit den dortigen Haflingern zu den Turnieren fahren. Für eigene Pferde dieser Güte fehlte dem jungen Mann schlicht das Geld. Daneben absolvierte Weitlaner die Ausbildung zum staatlich geprüften Reitlehrer und begann, Pferde zu züchten und auszubilden. In erster Linie Haflinger, vereinzelt auch Deutsche Sportpferde. 

Fast-Medaille und Medaille

Weitlaner zeigt heute auf dem Tolderhof seine Tiere voller Stolz. Er geht auf die Koppel, und die jungen Pferde stürmen auf ihn zu. Und auch die älteren machen freudig ein paar Schritte in seine Richtung. Unter ihnen Haflingerstute Feine, sein bisher erfolgreichstes Pferd. Sie ist gerade trächtig. Und eng bei ihr ihre Tochter Farfalla. „Die Mutter und die Bundeschampionesse nebenein-ander“, sagt Weitlaner stolz und zeigt auf die beiden Haflinger. Ihr rötliches Fell glänzt im Sonnenlicht. Farfalla siegte 2019 im Deutschen Bundeschampionats im Gespannfahren. „Und mit Feine habe ich 2011 die Medaille in der Weltmeisterschaft geholt“, erzählt er, während er dem Pony über die Mähne streicht. Das war ein enormer Erfolg – für Weitlaner, für die Haflinger, für Südtirol. Und eine Wiedergutmachung für ein bitteres Erlebnis auf der WM zwei Jahre zuvor. „Wir waren ganz vorne dabei, in der Dressur Vierter oder Fünfter, und im Gelände auch ganz vorne. Und dann, 50 Meter vor dem Ziel, …“ Hannes lächelt schief und atmet durch: „… da ging uns die Kinnkette bei einem Pony auf, und in der Aufregung hatte ich im Kopf, dass alles ordnungsgemäß sein muss, wenn wir ins Ziel kommen. Und ja nicht tricksen, sondern zeigen, wenn etwas zu richten ist.“ Also hält Hannes Weitlaner 50 Meter vor dem Ziel, sein Beifahrer springt vom Wagen und repariert die Kette gut sichtbar vor der Tribüne. „Die Richter sind alle verrückt geworden, denn wir hätten das gar nicht machen müssen!“ Die Aktion brachte zehn Strafpunkte – und kostete Weitlaner eine Medaille. „Damals habe ich zu meinem Beifahrer gesagt: ,Jetzt fahren wir die ganze Welt aus und kennen die Regeln nicht.‘“ 2011 hatte er sie dann gelernt – mit Erfolg: Weitlaner holt als erster Südtiroler eine WM-Medaille im Pony-Gespannfahren.

Überzeugt vom Haflinger

Weitlaners Erfolgsrezept: Leidenschaft und die Liebe zu seinen Pferden, besonders zu den Haflingern. „Der Haflinger hat ja nicht immer das tollste Image“, sagt Weitlaner. „Zu Unrecht, glaube ich.“ Weil er doch sehr gut geeignet ist für Erwachsene und Kinder. Viele Haflinger haben nicht das Glück, eine gute Ausbildung zu bekommen, ist Weitlaners Erfahrung. Er selbst legt gerade darauf besonderen Wert: „Alle Pferde, die bei uns im Schulbetrieb laufen, waren auch im Turniereinsatz. Wir achten immer darauf, dass wir sie vernünftig ausbilden.“ Brav allein hat ihm nie genügt, auch nicht für die Anfängerpferde. So sitzen seine Reitschüler:innen auf Haflingern, die in Dressur und Springen bis zur Klasse L ausgebildet sind. Und gleichzeitig be-sticht der Haflinger in Weitlaners Augen durch sein besonderes Wesen. „Es gibt nicht viele Rassen, die so charakterstark wie der Haflinger sind“, ist er sicher. „Sie verzeihen Fehler bei ungeübten Reitern, erschrecken nicht vor jedem Traktor und sind im Gelände absolut trittsicher und immer zuverlässig.“ Die Haflinger haben bei seinen erfolgreichen Turnieren fehlerfrei mitgemacht und durch ihre Charakterstärke gepunktet. Und das ist auch sein Zuchtziel: „Ich habe immer versucht, ein leistungsstarkes Pferd mit Charakter zu züchten.“ Reiner Haflinger oder Edelbluthaflinger? Ob das Tier nun keinen Araberblutanteil oder mehr als die erlaubten 1,56 Prozent hat, ist Weitlaner völlig egal. „Das macht kaum einen Unterschied.“ Der Edelbluthaflinger hat manchmal etwas bessere Bewegungen, ist Weitlaners Erfahrung. Das liege aber da-ran, dass auf die Bewegungen bei der Edelbluthaflingerzucht in Deutschland schon länger geschaut wird als bei den reinen Haflingern in Südtirol. Und ob Edelbluthaflinger oder reiner Haflinger – die Pferde vertragen sich alle gut. „Da ist es bei den Züchtern untereinander schwieriger“, verrät Weitlaner schmunzelnd. Aber die Rivalitäten zwischen Züchter:innen sind für ihn sinnlos. Er züchtet beides: Edelbluthaflinger und reine Haflinger. Denn Haflinger sind für ihn so oder so tolle Pferde. Weitlaner liebt seine Tiere. Im Notfall riskiert er für sie auch einiges, zum Beispiel eine Verhaftung: Weil er ein Fohlen nicht mit dem Anfang der 1990er-Jahre noch vorgeschriebenen Massentransport per Zug nach Südtirol einführen wollte, lief er mit dem Fohlen nachts durch den finsteren Wald über die Grenze – und wurde von zehn Polizeibeamten gestellt. 

Trainer mit Feingefühl

Über die Nacht im Gefängnis kann Weitlaner inzwischen schmunzeln. Vielleicht auch, weil er heute auf beiden Seiten der Grenze sehr willkommen ist. Seit 2020 trainiert er das österreichische Nationalteam im Pony-Gespannfahren und bereitet seine Schüler:innen gerade auf die Weltmeisterschaften von 16. bis 19. September in Le Pinau-Haras (FRA) vor. Vom Kadertraining Anfang Mai in Viechtwang konnten die Teilnehmer:innen bereits jede Menge wertvolle Tipps mitnehmen. Das diesjährige Team besteht aus Bernhard Baldauf, Rebecca Nick, Erich Pürstinger, und Michaela Schöftner im Einspänner sowie Simone Holzinger und Lothar Zebisch im Zweispänner. Die heute 30-jährige Rebecca Nick ist seit vielen Jahren Weitlaners Schülerin. Mit ihm als Trainer war sie auf zwei Weltmeisterschaften und hat schon mehrere internationale Turniere in der Klasse S gewonnen. Sie ist von Weitlaner als Trainer absolut überzeugt.„Hannes ist ganz ruhig und feinfühlig und geht extrem auf die Pferde ein“, erzählt sie. „Er macht viel mit der Stimme und nichts mit Kraft – deshalb kann ich als Frau die von ihm ausgebildeten Pferde problemlos nachfahren.“ Zu Hause auf dem Tolderhof in Olang unterrichtet er Anfänger:innen und Fortgeschrittene, Dorfkinder und Feriengäste jeden Alters. Dass sie hier ein vielfacher Italienmeister und WM-Bronzegewinner geduldig in Schritt, Trab und Galopp einweist und beim Auftrensen oder Nachgurten hilft, wissen die meisten gar nicht. Wer ins Reiterstüberl kommt, sieht die Schleifen, Pokale und Fotos, aber von dem bescheidenen Reitlehrer Hannes erfährt man dazu wenig. Und wenn Weitlaner selbst ins Stüberl geht, dann nicht, um seine Schleifen zu bewundern. Eher um mit seinen Kollegen von der Blaskapelle zu üben. Dort sitzen die Männer jede Woche und machen gemeinsam Musik. Weitlaner bläst das Baritonhorn und freut sich, einmal etwas zu tun, das mit Pferden so rein gar nichts zu tun hat.

bottom of page